November 2021
1. Ökumenisches Wort der Kirchen zur Migration erschienen
Das neue gemeinsame Migrationswort der Kirchen mit dem Titel „Migration menschenwürdig gestalten“ wurde am 21.10.2021 im Rahmen einer Online-Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben katholischen und evangelischen Theologen haben Vertreter/innen verschiedener der in der ACK vertretenen Kirchen seit 2017 mitgewirkt. Das Papier geht hauptsächlich der Frage nach: Wie lässt sich Migration unter unvollkommenen und widersprüchlichen Bedingungen so gestalten, dass man der Würde des Menschen gerecht wird? Aktuell wird an einer englischen Übersetzung gearbeitet, um das Papier auch in anderen europäischen Ländern zugänglich zu machen. Am 16.12.21 organisiert die DBK dazu einen Fachtag. Neben einer Zusammenfassung finden Sie hier die Langfassung und das Bestellformular für Druckausgaben.
2. Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktzugangs von Geflüchteten
Im September wurde die vierte Auflage der von Dr. Barbara Weiser (Caritasverband für die Diözese Osnabrück) erarbeiteten Handreichung „Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktzugangs von Geflüchteten“ veröffentlicht. Aufgrund zahlreicher gesetzlicher Änderungen seit 2017 wurde die Handreichung durch die Autorin vollständig überarbeitet. Herausgeber der Handreichung sind wie in der Vergangenheit das Deutsche Rote Kreuz sowie der Informationsverbund Asyl und Migration.
Die Broschüre richtet sich an die in der Beratungspraxis engagierten Personen und Organisationen. Das erste Kapitel behandelt die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für den Arbeitsmarktzugang von Asylsuchenden, von schutzberechtigten Personen sowie von Personen mit einer Duldung. Der zweite Abschnitt beschreibt die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen und weist auf Förderprogramme hin, die die jeweiligen Gruppen beim Zugang zum Arbeitsmarkt unterstützen sollen. Für die Neuauflage wurde darüber hinaus ein neues Kapitel ergänzt, welches sich mit Duldungen bzw. Aufenthaltserlaubnissen befasst, die zum Zweck der Ausbildung und Beschäftigung erteilt werden können. Die Broschüre kann hier heruntergeladen werden.
3. Rechtsbehelfsbelehrung ohne Hinweis auf Widerspruchserhebung in elektronischer Form ist rechtsfehlerhaft
Gerne greifen wir einen für den Beratungsalltag wichtigen Hinweis aus dem Newsletter von Harald Thomé auf: „Jetzt hat auch das LSG Niedersachsen-Bremen (09.09.2021 - L 13 AS 345/21 B ER) entschieden, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung in einem Bescheid, die keinen Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung des Widerspruchs per elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) beinhaltet, als unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung gilt und der Bescheid somit eine Widerspruchsfrist entsprechend § 66 abs. 2 SGG von einem Jahr hat. Dieser Hinweis auf das elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) muss auch erfolgen, wenn der Adressat des Bescheides nicht anwaltlich vertreten wird.“ Das Urteil finden Sie hier.
4. Traumatisierte Flüchtlinge haben Anspruch auf Therapie
Traumatisierte Asylbewerber haben einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine psychotherapeutische Versorgung. Das hat das Bundessozialgericht entschieden und Behandlungen traumatisierter Asylbewerber erleichtert. Wie die Kasseler Richter urteilten, können Therapeuten verlangen, dass die kassenärztliche Vereinigung sie trotz fehlender Zulassung zur Behandlung traumatisierter Flüchtlinge ermächtigt und die Psychotherapien dann auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. (AZ: B 6 KA 16/20 R)
Asylbewerber haben bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag die ersten 18 Monate (früher 15 Monate) gegenüber dem jeweiligen Bundesland einen direkten Anspruch auf Kostenübernahme für eine medizinische Versorgung. Danach sind die gesetzlichen Krankenkassen zuständig. Eine Behandlung auf Krankenkassenkosten ist danach nur bei einem zugelassenen Arzt oder Psychotherapeuten möglich. Mit dem aktuellen Urteil soll hat das BSG klargestellt, dass in der Übergangsphase nach 18 Monaten des Aufenthalts keine Versorgungslücke entsteht.
5. Amtsgericht erklärt Gewährung von Kirchenasyl als Straftat
Vor bayerischen Gerichten laufen mehrere Strafverfahren gegen Geistliche bzw. Verantwortliche in Kirchengemeinden, die Menschen in der Not Kirchenasyl gewährt haben. Neulich hat das Amtsgericht Bayreuth einen evangelisch-methodistischen Pastor zu 15 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt. Grund für das noch nicht rechtskräftige Urteil: „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“. Auch gegen eine katholische Ordensschwester ist ein Verfahren anhängig. Seit 2015 gibt es eine Vereinbarung zwischen dem Staat und den Kirchen. Diese besagt, dass das BAMF die regulär gemeldeten Aufnahmen ins Kirchenasyl einer genaueren Überprüfung unterzieht. Inzwischen haben Behörden mehrfach die Vereinbarung einseitig verschärft, so dass selten die Überprüfung der Dossiers zu einem positiven Ergebnis führt. Die meisten Kirchenasyle enden trotzdem zugunsten der aufgenommenen Menschen, wenn bestimmte Fristen erreicht werden. Vom genannten Urteil aus Bayreuth wird eine negative Signalwirkung bei der Aufnahmebereitschaft befürchtet. Im Erzbistum Paderborn befindet sich aktuell ein Mensch im Kirchenasyl.
6. Berufsbezogene Sprachförderung für Afghanen zugänglich
Ob Geflüchtete Zugang zur Sprachförderung haben, kann vom Aufenthaltsstatus, der Bleibeperspektive oder von bestimmten Fristen abhängen. Ab sofort gilt Afghanistan genauso wie Syrien, Eritrea und Somalia zu den Ländern mit „guter Bleibeperspektive“. Diese Einstufung hat zur Folge, dass Menschen aus Afghanistan vom ersten Tag ihres Aufenthalts an Zugang zur staatlichen Sprachförderung haben. Allerdings gilt dies lediglich für die berufsbezogenen Sprachkurse (inkl. frühzeitige Maßnahmen der Arbeitsmarktintegration gem. § 39a SGB III), weil diese im Zuständigkeitsbereich des Bundesarbeitsministeriums liegen. Das geht aus dem Rundschreiben des BAMF vom 15.11.2021 hervor. Die „gute Bleibeperspektive“ bei Afghanen/innen gilt in den Augen das Bundesinnenministerium nicht, weshalb sie gegenwärtig an den Integrationssprachkursen nur dann teilnehmen können, wenn sie entweder einen begünstigenden Aufenthaltsstatus haben oder wenn sie vor dem 1. August 2019 eingereist und mindestens arbeitsuchend gemeldet sind.
7. Förderangebot für geflohene Wissenschaftler*innen aus Afghanistan
Die Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat eine große Fluchtbewegung ausgelöst. Auch viele afghanische Wissenschaftler*innen mussten und müssen ihr Heimatland verlassen. Durch ein gezieltes Förderangebot möchte die VolkswagenStiftung sie bei der Integration in das deutsche Wissenschaftssystem und die hiesige Gesellschaft unterstützen und ihnen dabei helfen, ihre wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen. Weitere Informationen
8. Europäische Asylbehörde wird ausgebaut und umbenannt
Während sich an der Grenze zwischen Belarus und Polen dramatische Szenen abspielen und in der europäischen Asylpolitik keine Einigung absehbar ist, müssen wir uns an eine neue Begrifflichkeit gewöhnen: EUAA – European Union Agency for Asylum. Es handelt sich dabei um die Nachfolgeorganisation der EU-Asylbehörde EASO mit Hauptsitz in Malta. Bis zu 500 Asylexperten –darunter 86 aus Deutschland - sollen zum Einsatz kommen können, wenn das Asylsystem eines Landes unter hohem Druck steht oder nicht wirksam arbeitet. Zudem soll die Agentur als Frühwarnsystem bei Fluchtbewegungen und Trends bei Asylanträgen dienen.
9. Web-Seminar "Einführung in das Phänomen Menschenhandel in Deutschland im Kontext von Flucht"
Menschen auf der Flucht sind besonders gefährdet, Gewalt zu erfahren und/oder ausgebeutet zu werden. Die besondere Gefährdung bleibt auch im europäischen Aufnahmeland bestehen. Faktoren wie prekäre Unterbringung, eingeschränkte Rechte, Lücken im Unterstützungssystem sowie fehlende Informationen zur eigenen rechtlichen Situation können das Risiko erhöhen, in ausbeuterische Situationen zu gelangen. Ein kostenloses Web-Seminar findet am 02.12.2021 von 14.00 – 16.00 Uhr statt. Zielgruppe sind die verschiedenen Akteure in der Unterstützungsstruktur für Geflüchtete einerseits, z.B. ehrenamtliche oder professionelle Berater/innen, aber auch Mitarbeiter/innen in Behörden. Mehr
10. Flüchtlingseigenschaft kann von Elternteil abgeleitet werden
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) hindert einen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht daran, zur Wahrung des Familienverbands die Flüchtlingseigenschaft automatisch kraft Ableitung von einem Elternteil, dem diese Eigenschaft zuerkannt worden ist, auf sein minderjähriges Kind zu erstrecken. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 09.11.2021 entschieden. Die Klägerin ist eine tunesische Staatsangehörige, deren syrischer Vater in der Bundesrepublik Deutschland die Flüchtlingseigenschaft erhielt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin ab. Das in der Revisionsinstanz mit der Klage befasste Bundesverwaltungsgericht meinte, die Klägerin habe zwar keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht, da sie in Tunesien effektiven Schutz erlangen könne, sie erfülle aber die Voraussetzungen für die Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft zum Schutz der Familie im Asylverfahren für minderjährige ledige Kinder eines als Flüchtling anerkannten Elternteils. Danach sei die Flüchtlingseigenschaft auch einem Kind zuzuerkennen, das in Deutschland geboren worden sei und über seinen anderen Elternteil die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitze, in dessen Hoheitsgebiet es nicht verfolgt werde. Das Gericht legte die Sache dem Gerichtshof vor und bat um Klärung, ob eine solche Auslegung des deutschen Rechts mit der EU-Richtlinie 2011/952 (Anerkennungsrichtlinie) vereinbar sei. Aktenzeichen des Urteils vom 09.11.2021: C-91/20.
11. Eintreten in Wohnungen – auch in einer Gemeinschaftsunterkunft – nur mit richterlichem Beschluss
Oft kommt es vor, dass Räumlichkeiten in Gemeinschaftsunterkünften durch Polizei und andere Behörden betreten werden, ohne eine richterliche Genehmigung dafür zu haben. Am 07.10.21 hat das VG Berlin einmal mehr die Unrechtmäßigkeit solcher Handlungen festgestellt. Im Falle eines guineischen Flüchtlings hatte die Polizei im September 2019 seine Tür aufgebrochen, um den Mann abzuschieben. Während ihm die persönlichen Gegenstände abzunehmen rechtmäßig gewesen sei, hätte die Polizei vor dem gewaltsamen Eintritt in die Wohnung einen richterlichen Beschluss vorlegen müssen, befand das Gericht. Das Urteil (VG 10 K 383.19) finden Sie hier
12. Neue Staatssekretärin im Integrationsministerium
Gonca Türkeli-Dehnert ist am 28. Oktober 2021 zur Integrationsstaatssekretärin im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen ernannt worden. Sie hat in dieser Funktion damit die Nachfolge von Serap Güler angetreten, die bei der Bundestagswahl im September 2021 neu in den Deutschen Bundestag gewählt worden ist. Frau Türkeli-Dehnert, von Beruf Juristin, war zuvor unter anderem im Bundeskanzleramt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie zuletzt als Geschäftsführerin der Deutschlandstiftung Integration in Berlin tätig.
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Herausgeber: Josef Lüttig, Flüchtlingsbeauftragter
Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn, ;