November 2020

Liebe Engagierte in der Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,
sehr geehrte Damen und Herren,

Seit Anfang 2017 werden Sie regelmäßig mit Hilfe dieses Newsletters mit aktuellen Informationen und Wissenswertem rund um Flucht, Migration und Integration versorgt. Ich freue mich, Ihnen die erste Ausgabe seit meinem Amtsantritt als Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen präsentieren zu können. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Sie herzlich zu grüßen. Ich hatte gehofft, einige von Ihnen auf unserem inzwischen coronabedingt abgesagten Ehrenamtstag persönlich kennen zu lernen. Gemeinsam hoffen wir jedoch auf bessere Zeiten und eine passende Gelegenheit, wo wir einen solchen Tag nachholen können. Ich möchte Sie jedenfalls herzlich einladen, immer, wenn Sie die Unterstützung des Sonderbeauftragten benötigen, Kontakt zu Herrn Barjosef aufzunehmen. Wir werden ständig bemüht sein, zusammen mit Ihnen eine Lösung zu finden.

Nicht erst seit dem verheerenden Brand auf Lesbos hat die Welt mit Spannung auf eine europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik gewartet. Die EU-Kommission hat neulich mit dem „Pakt für Migration“ einen ersten Entwurf vorgelegt. Dieser enthält zum Glück einige positive Aspekte für Kinder und Familien; der Schwerpunkt liegt jedoch unübersehbar auf noch mehr Abschottung und auf die Legalisierung von Rechtsbrüchen an den EU-Außengrenzen. Ich würde mir eine Politik wünschen, die Humanität, Menschenrechte und christliche Werte nicht nur propagiert, sondern diese auch umsetzt. Kirche und Caritas werden die Beratungen dazu eng begleiten.

In dieser Ausgabe erwarten Sie außerdem aktuelle rechtliche Entwicklungen, wertvolle Hinweise und hilfreiche Materialien aus Ihrem Tätigkeitsfeld. Angenehme Lektüre!

Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, wir werden alle gut durch die bevorstehende schwierige Zeit kommen.

Ihr Josef Lüttig

Vorstandsvorsitzender Diözesan-Caritasverband und Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen im Erzbistum Paderborn

 

1. EU-Migrationspakt: Viel Abschottung, strengere Grenzkontrollen und Abschiebung, wenig Solidarität

Am 23.09.2020 hat die EU-Kommission nach jahrelanger Stagnation in der Asyl- und Flüchtlingspolitik einen sog. „Pakt für Migration“ auf den Weg gebracht, der nunmehr in den Mitgliedsstaaten beraten und entschieden werden soll. Die Hoffnung ist, noch während der deutschen Ratspräsidentschaft eine Einigung zu erzielen.

Gemeinsam mit über 75 im Flüchtlingsschutz engagierten Organisationen in Europa hat der Deutsche Caritasverband auf Initiative des Europäischen Flüchtlingsrates hin ein erstes Statement dazu herausgegeben. In dem Papier wird zum Ausdruck gebracht, dass große Zweifel hinsichtlich der Funktionalität und der tatsächlichen Umsetzbarkeit der neuen Vorschläge der EU-Kommission bestehen. Außerdem gibt es bei den Unterzeichnern große Sorge, dass mit den neuen Regelungen menschenrechtliche und verfahrensrechtliche Standards an den EU Außengrenzen stark herabgesetzt oder gänzlich außer Acht gelassen werden.

Außerdem trägt der Deutsche Caritasverband uneingeschränkt die erste Einschätzung von Caritas Europa zu dem EU Migrations- und Asylpaket mit. Darin wird bedauert, dass der überwiegende Fokus auf Rückführung, Grenzkontrollen und Migrationsprävention durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern gelegt wird. Begrüßt werden jedoch auch positive Entwicklungen, wie etwa die Vorschriften zum Schutz der Rechte von Kindern und des Rechts auf Familieneinheit oder Ansätze, die den Schutz der Grundrechte an den Grenzen stärker in das Blickfeld rücken. Auch die Zusage, in der nahen Zukunft das Thema der legalen Migrationswege anzugehen, sowie anerkannten Geflüchteten künftig bereits nach drei Jahren, statt wie bisher nach fünf Jahren einen Anspruch auf einen langfristigen Aufenthaltstitel erteilen zu wollen, wird positiv gesehen.  Mehr zur Positionierung der Caritas in einem Artikel von Martin Beißwenger.

2. Flüchtlinge sind die großen Verlierer der Pandemie

Am 18.10.2020 hat die OECD den Internationalen Migrationsausblick 2020 veröffentlicht. Die Autoren weisen auf die besonders prekäre Lage geflüchteter Menschen und ihre Gefährdungssituation hin. Das Infektionsrisiko sei in manchen Ländern bei Geflüchteten doppelt so hoch, wie das bei Alteingesessenen der Fall ist. Als Gründe dafür werden genannt: Armut, beengte Wohnverhältnisse, ungünstige Arbeitsverhältnisse, mangelhafte Gesundheitsversorgung in ihrem Wohnumfeld und unsichere Jobs. Nicht ganz überraschend ist der Hinweis, dass in den untersuchten Ländern zugewanderte Menschen bei der Coronabekämpfung an vorderster Front stehen (medizinisches Fachpersonal), während sie wegen der großen Einbrüche im Gastgewerbe zu den großen Verlierern der Pandemie gehören. Mehr

Corona und ihre Folgen für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte waren auch Schwerpunkt des zwölften Integrationsgipfels der Bundesregierung. Dieser fand zum ersten Mal virtuell statt. Kanzlerin Merkel bestätigte die Ergebnisse der OECD-Studie im Austausch mit mehr als 120 Vertretern aus Migrantenorganisationen, Religionsgemeinschaften, Politik und Wirtschaft indirekt auch für Deutschland. Der Wirtschaftseinbruch wirke sich auf Branchen aus, in denen viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte tätig seien, die nun um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, so die Bundeskanzlerin. Bereits im Mai 2020 hatten Forschende des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung festgestellt, dass die Arbeitslosigkeit von Ausländer/innen besonders gestiegen ist. Als Grund dafür wird die Tatsache angegeben, dass sie häufiger in Branchen tätig sind, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Die Forschenden gehen gleichzeitig von unmittelbaren negativen Konsequenzen bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus. Die positive Entwicklung der vergangenen fünf Jahre werde gestoppt, da Geflüchtete eher Jobs angenommen hätten, die von Kurzarbeit und Entlassungen häufiger betroffen sind.

3. Einladung zum asylpolitischen Forum

Traditionell haben mehrere Akteure der Flüchtlingsarbeit in NRW zum alljährlichen Asylpolitischen Forum nach Villigst eingeladen. An drei Tagen fanden hochkarätige Vorträge, Podien und Austausch statt. In diesem Jahr muss die Veranstaltung bedingt durch Corona virtuell stattfinden. Die Organisatoren laden Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit am 12.12.2020, 08:15 bis 16:15 Uhr zu einer Videokonferenz ein. Diese findet via ZOOM und Youtube statt. Anmeldungen sind ab sofort möglich. Das Programm der Tagung mit dem Titel „Wider den Werteverfall beim Flüchtlingsschutz!“ und die Anmeldemöglichkeit finden Sie hier.

4. Dublin-Überstellung: Coronabedingte Aussetzung der Überstellung ist keine Unterbrechung der Frist

Im zurückliegenden Sommer hatten sich gleich mehrere Gerichte mit der Frage zu beschäftigen, ob geplante Überstellungen im Rahmen der Dublin-Verordnung, die coronabedingt nicht durchgeführt werden konnten, eine Unterbrechung der Überstellungsfrist zur Folge haben. Wie der Flüchtlingsrat NRW darauf hinweist, haben unter anderem mehrere Verwaltungsgerichte die Frage eindeutig verneint und dort, wo die Sechsmonatsfrist inzwischen abgelaufen war, Deutschland für das weitere Asylverfahren als zuständiges EU-Land erklärt. Unter anderem die Verwaltungsgerichte Weimar, Oldenburg, Berlin und Schleswig-Holstein haben sich mit dieser Frage befasst. Die Urteile können auch für Menschen im Kirchenasyl relevant sein. Insbesondere die Frage, ob bei Menschen im „offenen“ Kirchenasyl die 18-Monatsfrist anzuwenden ist, hatte das Bundesverwaltungsgericht im Juni dieses Jahres verneint. Mehr

5. Corona-Pandemie und Migration

Die Corona-Pandemie wirkt sich massiv auf Migrationsbewegungen aus. Deutschland hat - wie viele andere Länder auch - weitreichende Einreisebeschränkungen veranlasst. Zugleich ist COVID-19 in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete eine besondere Gefahr. Denn dort leben viele Menschen auf engem Raum. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Corona anzustecken, ist laut Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis sehr hoch. Der MEDIENDIENST hat wichtige Informationen zum Themenkomplex Corona-Pandemie und Migration zusammengetragen. Mehr

6. Fristverlängerung bei der Neuvisierung abgelaufener Visa

Im Juli hatten wir Sie über zahlreiche Lockerungen bei den coronabedingten Reisebeschränkungen nach Deutschland informiert. Es handelte sich dabei teilweise um sehr enge Zeitfenster und uneinheitliche Informationspolitik der Auslandsvertretungen. Anfang Oktober hat das Auswärtige Amt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen bekannt gegeben, dass die Frist zur Beantragung einer Neuvisierung nunmehr pauschal für alle Auslandsvertretungen auf den 31.12.2020 gesetzt wurde. Die neue Regelung gilt rückwirkend ab dem 08.09.2020 und auch für Antragstellende, deren Anträge auf Neuvisierung nach der bisherigen Regelung bereits verfristet gewesen wären. Weitere Informationen dazu im Corona-Newsticker von Pro Asyl.

7. Geflüchtete aus Moria in Deutschland angekommen

Nach der verheerenden Brandkatastrophe im Flüchtlingscamp Moria hatte sich Deutschland bereit erklärt, bis zu 1500 Personen aufzunehmen. Nach langwierigen Sondierungsgesprächen wurden die ersten Gruppen ausgeflogen. Mitte Oktober landete die erste Maschine mit 101 Personen. Dabei handelte es sich um 61 Kinder und ihre Familienangehörigen. Vom Durchgangslager Friedland aus werden sie auf andere Bundesländer verteilt. Weitere Flieger mit Personen aus Moria sind in der Zwischenzeit in Hannover gelandet, es muss jedoch schneller gehen und vor allem für wesentlich mehr Personen in alle EU-Länder, verlangen der Deutsche Caritasverband und Caritas International. Es wird befürchtet, dass durch die Errichtung des neuen Lagers auf Lesbos das Thema in der Öffentlichkeit an Aktualität verliert, an der Situation der Menschen jedoch keine Besserung eintritt. Über 200 Städte und Kommunen aus dem ganzen Bundesgebiet, einige davon auch aus dem Erzbistum Paderborn, haben ihre Bereitschaft zur Aufnahme von mehr Geflüchteten erklärt und würden gerade Menschen von den griechischen Inseln aufnehmen (Übersicht). Bisher hat das Bundesinnenministerium darauf nicht reagiert.

8. Übersichtstabelle: Formen der Duldung

Die Duldung, kein eigentlicher Aufenthaltstitel, ist die Aufenthaltsgrundlage von über 229.000 ausreisepflichtigen Menschen bundesweit. Die GGUA hat im Oktober eine hilfreiche Tabelle erstellt, in der die unterschiedlichen Duldungsformen, ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen dargestellt sind. Die Tabelle gibt eine erste hilfreiche Orientierung. Für weitere Informationen und Beratung bleibt der Kontakt zu einer Beratungsstelle unentbehrlich. Mehr

9. Flüchtlingshelfende: Überwiegend weiblich, christlich und über 70

Die „neue Caritas“ fasst die wesentlichen Ergebnisse einer Studie zur Flüchtlingshilfe zusammen: „Vorwiegend Frauen engagieren sich in Deutschland für Geflüchtete. Das geht […] aus einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirchen hervor. Demnach sind 53 Prozent derer, die in einer repräsentativen Online-Befragung angaben, Flüchtlingen konkret zu helfen, weiblich und über 70 Jahre alt. Als Motive nannten sie persönliche Erlebnisse, Betroffenheit und das Bedürfnis zu helfen. Oft engagieren sie sich etwa in Kirchengemeinden. Sie haben großes Vertrauen in die Demokratie und lehnen die AfD ab“.

10. Materialien zu Herkunftsländern

Sowohl Länderinformationen als auch die Rechtsprechung zum jeweiligen Land sind wichtige Quellen, um geflüchtete Menschen zu begleiten und sie kompetent beraten zu können. Aus gegebenem Anlass weisen wir auf die Sammlung des Informationsverbund Asyl & Migration hin. Um zwei Monate aktueller sind die Hinweise im Asylmagazin, der Zeitschrift für Flüchtlings- und Migrationsrecht. Dort finden Sie auch Berichte des Auswärtigen Amtes. Diese Berichte können bezogen werden u.a. von Personen, die im Rahmen eines asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahrens, um rechtlichen oder humanitären Abschiebungsschutz nachsuchen oder nachsuchen wollen. Voraussetzung hierfür ist die Glaubhaftmachung, dass der Lagebericht für ein laufendes oder beabsichtigtes Verfahren benötigt wird.

11. Materielle Unterstützung für Familien

Mittlerweile sind über 1.800 Anträge durch Initiativen, Verbände und Kirchengemeinden an den Flüchtlingsfonds des Erzbistums gestellt und die allermeisten davon positiv beschieden worden. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist der finanzielle Druck auch bei den Flüchtlingsfamilien, insbesondere im Kontext von Schule und Ausbildung, enorm gestiegen. Daher lohnt es sich, andere Möglichkeiten in den Blick zu nehmen. Einige davon finden Sie auf unserer Website der Flüchtlingshilfe in der Rubrik „Finanzielle Unterstützung“. Gesondert erwähnt werden soll die Aktion Lichtblicke, die in diesem Jahr die Folgen der aktuellen Pandemie bei Kindern mit Wohnsitz in NRW lindern will. Was gesetzliche Ansprüche angeht, kann eine Auflistung des Flüchtlingsrat NRW im Ehrenamtsnews Nr. 3/2020, Seite 4, hilfreich sein.

12.  Handreichung: Menschenhandel im Kontext von Flucht

Ob auf der Flucht oder während des Asylverfahrens in Deutschland können Menschen auf der Flucht leider sehr einfach Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel werden. Begünstigende Faktoren dafür sind sehr vielfältig. Unabhängig davon, ob es sich um Verdachtsfälle handelt oder um Berichte Betroffener, ist der Umgang damit auch für das Helfersystem nicht ganz einfach. Eine Handreichung der Arbeiterwohlfahrt mit dem Titel „Menschenhandel im Kontext von Flucht. Ein Leitfaden zur Unterstützung von Betroffenen“ verspricht Hilfe. Mit dieser Broschüre soll Menschenhandel im Kontext von Flucht stärker in den Fokus der täglichen Arbeit rücken und die daraus resultierenden spezifischen Bedarfe der Betroffenen sowie Herausforderungen in der Arbeit aufgezeigt werden. Sie soll Helfende über dieses wichtige Thema informieren und sensibilisieren, damit Opfer von Menschenhandel zukünftig besser erkannt, über spezialisierte Fachberatungsstellen und Unterstützungsstrukturen informiert sowie über ihre Rechte und Aufenthaltsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Mehr

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Herausgeber: Josef Lüttig, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen
Redaktion:
, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,
                    , Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V.