Juni 2021
1. Deutsche Bischofskonferenz und Caritas - Keine Abschiebungen bei drohenden Menschenrechtsverletzungen
Die Pressestellen der Deutschen Bischofskonferenz und des Deutschen Caritasverbandes haben im Vorfeld der Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (16.–18. Juni 2021) eine gemeinsame Pressemitteilung veröffentlicht. Darin erklären der kommissarische Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Weihbischof Dr. Dominicus Meier OSB (Paderborn), und der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher, nach Afghanistan und Syrien sollte aktuell niemand abgeschoben werden, in andere Länder nur dann, wenn dies „in Sicherheit und Würde erfolgen“ kann. In den meisten Ländern, in denen abgeschoben wird, sei weder an Arbeit noch an verlässliche gesundheitliche Versorgung zu denken. Deshalb sind „Abschiebungen unter den Bedingungen der Corona-Pandemie verantwortungslos“, so die beiden Kirchenvertreter. Die Pressemeldung finden Sie hier
2. Neuer Erlass des MKFFI zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung
Am 28.05.2021 hat das Integrationsministerium einen neuen Erlass veröffentlicht, der den Zugang Geduldeter zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt weiter erleichtert. Was bereits seit Mai 2018 eingeführt wurde, liefert den Ausländerbehörden nunmehr weitere Spielräume, um gut integrierten Geduldeten Perspektiven zu eröffnen. Die Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern als Anlage zum Erlass enthalten NRW-spezifische Angaben. Diese betreffen insbesondere Themen wie die Erfüllung der Passpflicht und ungeklärte Identität, Asylfolgeanträge, die Elternzeit während einer Ausbildung und die Erteilung einer Duldung für minderjährige Kinder und Ehegatten. Auch auf die Aufhebung der Altersgrenze für den Beginn einer Ausbildung und die Gültigkeit der Ausbildungsduldung für absolvierte betriebliche Umschulungen wird eingegangen. Die bisherige Auslegung, eine Beschäftigungsduldung sei nur für die Fortführung eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses zu erteilen, gilt nicht mehr. Diese kann nunmehr auch bei der Aufnahme einer neuen Beschäftigung erteilt werden, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.
Kirsten Eichler, GGUA, hat den Erlass ausführlich analysiert und bewertet. Ihre hilfreiche Bewertung finden Sie hier.
3. Netzwerk für Bleiberecht
Ein breites Netzwerk, bestehend unter anderem aus mehreren Landesflüchtlingsräten, hat sich zum Ziel gesetzt, bundesweit rund um das Thema „Duldung“ zu informieren, sensibilisieren und der Politik konkrete Handlungsschritte für eine rasche Integration Betroffener vorzuschlagen. Auf der Website Bleiberecht statt Abschiebung möchten die Initiatoren sich für eine Kursänderung beim Umgang mit Inhabern einer Duldung stark machen: Wer seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden hat, soll bleiben und sein Leben und seine Zukunft in die eigenen Hände nehmen können – ohne Angst vor Abschiebung oder einem Entzug des Aufenthaltsrechts! Interessant ist die Seite nicht nur deshalb, weil sie allgemeine Informationen rund um das Thema enthält, sondern darin gleichzeitig Wissenswertes zu gesetzlichen Grundlagen der Duldung in ihren unterschiedlichsten Formen gebündelt vorzufinden sind.
4. Kirchenasyl: Gewissensentscheidung als Entschuldigungsgrund
Wiederholt standen in Bayern Verantwortliche aus Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften vor Gericht oder wird gegen sie ermittelt. Seit Sommer 2020 macht der Fall der Äbtissin des Benediktinerinnen-Klosters Kirchletten bei Bamberg bundesweit Schlagzeilen. Die Verhandlung wurde wegen weiterer Ermittlungen zum wiederholten Mal verschoben. Konkreter wurde es für einen Bruder aus der Abtei Münsterschwarzach. Mönch Abraham Sauer stand als Koordinator für Flüchtlingshilfe der Abtei vor dem Amtsgericht Kitzingen. Tatvorwurf: Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ohne erforderlichen Aufenthaltstitel. Die zuständige Richterin, Patricia Finkenberger, sprach den Angeklagten am 26.04.2021 frei, weil er aus Gewissensgründen hätte nicht anders handeln können. Die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel ein. In einem Interview mit „ Christ&Welt“ erläuterte Richterin Finkenberger die Beweggründe ihrer Entscheidung.
Weniger erfreulich war dagegen der Ausgang des Strafverfahrens gegen Schwester Juliane Seelmann aus Würzburg. Auch sie stand wegen der Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht und wurde am 02.06.21 zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt. Es wird befürchtet, dass diese Verurteilung eine negative Signalwirkung entfalten könnte. Kritiker sehen hinter all den Strafanzeigen nichts anderes als strategische Einschüchterungsversuche.
5. Hürden beim Familiennachzug
Das Recht auf Familie ist kein Gnadenakt, sondern ein im Grundgesetz verbrieftes Menschenrecht. Dennoch sind anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte nach wie vor mit gravierenden rechtlichen und praktischen Problemen konfrontiert, wenn sie ihre Familien nachholen möchten. Ein ganz aktuelles Beispiel sind teilweise Jahre andauernde Verfahren anerkannter Minderjähriger aus Afghanistan und die Konsequenzen des Abzugs ausländischer Kräfte aus dem Land bis spätestens 11.09.2021. Ob dann die Familienangehörigen unter den Taliban überhaupt noch die Möglichkeit einer Ausreise haben, ist mehr als nur fraglich. Der Appell an die Bundesregierung, rechtzeitig für Abhilfe zu sorgen, ist mehr als nur verständlich.
Unabhängig davon fährt Deutschland beim Familiennachzug eine familienunfreundliche Linie. So leben viele anerkannte Geflüchtete seit Jahren von ihren Eltern, Kindern oder Geschwistern getrennt. In einer Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte werden die aktuellen Hürden beim Familiennachzug kompakt dargestellt. Insbesondere werden die Schwierigkeiten beim Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen international Schutzberechtigten, beim Geschwisternachzug sowie bei der Nachzugsregelung zu subsidiär Schutzberechtigten thematisiert. Schließlich werden die praktischen Schwierigkeiten beim Nachweis der Familienzugehörigkeit beleuchtet. Mehr
6. BGH: Eltern von minderjährigen Kindern dürfen nur in besonderen Ausnahmen in Abschiebungshaft
Der Bundesgerichtshof macht in seinem Beschluss (XIII ZB 95/19) vom 22.03.2021 deutlich, dass nur im äußersten Fall und nur für die kurzmöglichste Dauer Abschiebungshaft für ein Elternteil von minderjährigen Kindern angeordnet werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn die minderjährigen Kinder während der Haft eines Elternteils nicht durch den anderen Elternteil oder durch ein volljähriges Familienmitglied betreut werden können. Im verhandelten Fall ging es um eine Mutter von zwei minderjährigen Kindern, die für mehrere Wochen in Abschiebungshaft war. Während das Amtsgericht seine Entscheidung damit begründete, dass der damals 9-jährige Sohn mit der 16-jährigen Schwester zusammenleben könnte, stellte der BGH fest, dass diese Einschätzung der rechtlichen Nachprüfung am Maßstab des Grundrechts auf den Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) nicht standhält. (Quelle: FRNRW, Schnellinfo 3/2021).
7. Rückläufige Zahlen beim Kirchenasyl
Im Rahmen der Vereinbarung vom 24.02.2015 zwischen dem BAMF und den Kirchen wurde erreicht, dass abgelehnte Schutzsuchende in besonders gelagerten Fällen erneut eine Chance erhalten, dass ihr Verfahren in Deutschland überprüft wird. Aufnehmende Gemeinden und Ordensgemeinschaften sollten dafür beim BAMF ein Dossier einreichen. Die Quote, dass Deutschland dabei das Selbsteintrittsrecht erklärt hat, betrug anfangs 80-90%. Nachdem das BAMF 2016 die Zuständigkeit für die Härtefallprüfung ins Dublin-Referat verlagerte, ging die Quote im August 2018 auf unter 10% zurück. Im August 2018 hat die Innenministerkonferenz die genannte Vereinbarung einseitig verschärft und unter anderem durch die Heraufsetzung der Überstellungsfrist von 6 auf 18 Monate die Aufnahme ins Kirchenasyl förmlich sanktioniert. Zahlreiche Gemeindeverantwortliche wurden mit Strafverfahren konfrontiert. Folge: In 2020 wurden dem BAMF 335 Kirchenasyle gemeldet (2018: 1521, 2019: 635). In 258 Fällen wurden Dossiers eingereicht, von denen lediglich 5 durch die Erklärung des Selbsteintrittsrechts durch Deutschland beendet werden konnten; in den übrigen Fällen ist entweder die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens wegen des Ablaufens der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen oder haben zuständige Gerichte eine aus der Sicht der Schutzsuchenden positive Entscheidung getroffen. Wiederum andere Kirchenasyle laufen noch. Das BAMF hat im Januar 2021 aufgrund eines Urteils des BVerwG erklärt, die Überstellungsfrist nicht mehr wegen „Untertauchens“ automatisch auf 18 Monate heraufsetzen zu wollen. Daraus wird mehr Bereitschaft zur Aufnahme ins Kirchenasyl erhofft. Aktuell laufen im Erzbistum Paderborn 2 Kirchenasyle für drei Personen.
8. Gewaltschutz in Unterkünften für geflüchtete Menschen
Viele geflüchtete und migrierte Kinder müssen in Deutschland häufig längere Zeit in Sammelunterkünften für geflüchtete Menschen leben. Mit dem „Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ hat der Bundesgesetzgeber die Bundesländer dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Personen zu gewährleisten. Rund ein Jahr nach Inkrafttreten dieser gesetzlichen Verpflichtung haben UNICEF Deutschland und das Deutsche Institut für Menschenrechte beschlossen herauszuarbeiten, wie es aktuell um den Gewaltschutz in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften bestellt ist und welche Maßnahmen die Länder ergriffen haben. Mit Hilfe eines strukturierten Fragebogens unter allen 16 Bundesländern haben sie eine Studie durchgeführt. Die Expertise identifiziert aktuelle Tendenzen und Entwicklungen und benennt mit juristischen Blick Defizite und Lösungsansätze auf der strukturellen und konzeptionellen Ebene des Gewaltschutzes. Mehr
9. Übersicht: Flüchtlingsdefinitionen, Aufenthaltspapiere und ihre Rechtsgrundlagen
Volker Maria Hügel, Referent der GGUA Münster, hat seine Übersicht „Fachinformationen“ im Mai 2021 aktualisiert. Darin erfahren Sie schnell, einfach und übersichtlich alles Wissenswerte über die unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen, aus dem Asyl- und Aufenthaltsrecht resultierende Aufenthaltstitel und –papiere sowie ihre Rechtsgrundlagen. Nach der gleichen Systematik werden auch Wege und Möglichkeiten aufgezeigt, wann und unter welchen Bedingungen eine Niederlassungserlaubnis erlangt werden kann. Mehr
10. Fakten zur Einwanderung in Deutschland
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) hat sein Faktenpapier „Fakten zur Einwanderung in Deutschland“ im Februar 2021 aktualisiert. Dadurch möchte er mit Fakten zur Versachlichung der aktuellen Debatte um Zuwanderung, Arbeitsmigration, Flucht und Asyl sowie zu religiöser Zusammensetzung in Deutschland beitragen. Auf lediglich sechs Seiten erfahren Sie kurz und bündig Wesentliches zu folgenden Themen: 1) Wer lebt in Deutschland? 2) Wer kommt neu dazu? 3) Qualifikation und Erwerbstätigkeit von Zuwanderern. Mehr
11. Studie: Migration, Familie, soziale Beziehungen bei Zugewanderten aus Syrien und Eritrea
In einer gemeinsamen Studie analysieren das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und das Forschungszentrums des BAMF Familienstrukturen unter kürzlich Zugewanderten aus Eritrea und Syrien. Die Analysen basieren auf rund 1.500 Interviews mit Männern und Frauen, die im Alter von 18 bis 45 Jahren zwischen 2013 und 2019 nach Deutschland zugewandert sind. Erste Ergebnisse wurden in einer neulich veröffentlichten Broschüre vorgestellt. Zentrale Ergebnisse: Die Kernfamilie lebt zumeist schon in Deutschland, bei den Befragten aus Syrien ist der Anteil von Angehörigen aus dem erweiterten Familienkreis in Deutschland höher; soziale Netzwerke sind vielfältig – insbesondere bei den Frauen aus Syrien spielen Familienangehörige die wichtigste Rolle, bei den Befragten aus Eritrea häufiger auch ehrenamtliche und professionelle Helfende; der überwiegende Teil der Befragten gibt an, mit ihrem Leben im Allgemeinen und mit ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zufrieden zu sein. Nur sehr wenige fühlen sich in Deutschland häufig sozial isoliert. Bei der Überwindung der Isolation leisten Kontakte zu Deutschen und eine familiäre Anbindung einen positiven Beitrag. Mehr
12. Atlas der Staatenlosen – Daten und Fakten über Ausgrenzung und Vertreibung
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat eine Broschüre mit dem Titel „Atlas der Staatenlosen“ veröffentlicht. Darin möchte sie zum einen Ausgrenzung und Vertreibung sichtbar machen, zum anderen aber auch Lösungswege für die jeweiligen Situationen und Probleme aufzeigen. Weiterhin möchte sie anhand von Länderbeispielen auf die vielen Facetten des Themas aufmerksam machen. Denn es gibt zahlreiche Gründe dafür, dass Menschen staatenlos sind. Sie reichen von der Aberkennung der Staatsangehörigkeit über Flucht und Vertreibung bis hin zu religiöser Diskriminierung oder den Folgen nomadischer Lebensweise. Die Konsequenzen für die Betroffenen sind so unterschiedlich wie weitreichend: Staatenlose sind Menschen, die besonders verletzlich sind, weil kein Staat sie schützt und sie keinen Zugang zu grundlegenden Rechten haben. Die Publikation ist kostenfrei bestellbar und steht hier zum Download bereit.
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Herausgeber: Josef Lüttig, Flüchtlingsbeauftragter
Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,
, Referat Migration, Asyl und Partizipation im Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V.