Juni 2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
Im Laufe des Jahres sind mehrere Termine dem Thema Flucht und Migration gewidmet. Das ist gut und wichtig so. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass einerseits die Schicksale von mehreren Millionen Menschen vergessen werden, andererseits ihre Stärke, Mut und Widerstandsfähigkeit übersehen wird. Die prominentesten dieser Gedenktage sind in diesem Jahr: der Weltflüchtlingstag der UNHCR am 20. Juni, der Welttag des Migranten und Flüchtlings des Vatikans am 27. September und der nationale Tag des Flüchtlings am 2. Oktober 2020.
Jährlich präsentiert das UNHCR im Vorfeld des Weltflüchtlingstages die aktuelle globale Statistik von Binnenvertriebenen, Flüchtlingen und Asylsuchenden. Es ist zu befürchten, dass die Zahl von 70,8 Millionen des Jahres 2018 übertroffen wird. Es muss uns nachdenklich stimmen, wenn wir sehen, dass Europa als der wirtschaftlich stärkste Kontinent der Welt sich sehr schwer tut, relativ wenigen dieser Abermillionen Menschen eine Perspektive zu bieten. Nicht einmal gemachte Zusagen, das EU-Mitglied Griechenland um 1.600 Personen zu entlasten, werden in einem vertretbaren Zeitfenster umgesetzt. Nach massiver Kritik hat die Bundesregierung im vergangenen April 47 Kinder und Jugendliche aus Griechenland eingeflogen und die Aufnahme von weiteren 243 in Aussicht gestellt. Dieser nur sehr langsam und zögerlich begonnene Weg muss unbedingt entschieden fortgesetzt werden.
Mittlerweile blicken wir auf ein Jahr Migrationspaket zurück. Auch wenn Teile davon erst vor kurzem in Kraft traten, zieht der Deutsche Caritasverband in der Gesamtschau eine eher negative Bilanz. Es bleibt zu hoffen, dass wir in einem Jahr nicht von ähnlichen Erfahrungen mit dem vielgelobten Fachkräfteeinwanderungsgesetz berichten müssen.
Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd durch rassistisch begründete Polizeigewalt in Amerika und in Folge dessen die Solidaritätskundgebungen in zahlreichen europäischen Städten, erinnern uns daran, dass nicht nur die USA ein Rassismusproblem haben. Leider sind Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit auch bei uns latent und immer öfter auch ausdrücklich und öffentlich vorhanden. Die jüngsten Vorgänge sollten daher für uns eine Mahnung sein, uns unermüdlich für Toleranz und Solidarität einzusetzen.
Aktuell ist wegen der Corona-Pandemie Vieles in unserem Alltag anders. Das gilt auch für die bevorstehenden Sommerferien: Eingeschränkte Reisefreiheit, fehlende Planungssicherheit, beengte Wohnverhältnisse, fehlende Freizeitangebote etc.. Was für die meisten eine außergewöhnliche Situation ist, auf deren Ende man hoffen darf, ist für viele andere der Normalzustand – nicht zuletzt für viele Flüchtlinge. Die neuen einengenden Erfahrungen weiter Bevölkerungsteile werden hoffentlich auch zu einem Perspektivwechsel bei Entscheidungsträgern beitragen. Im besten Falle könnten sich die Lebensbedingungen einiger Kinder und Jugendlicher in Sammelunterkünften wesentlich verbessern.
Trotzdem, oder gerade deshalb, wünsche ich Ihnen erholsame Sommerferien, eine kreative Zeit mit Ihren Liebsten und gute Lektüre.
Domkapitular Dr. Thomas Witt
Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen im Erzbistum Paderborn
1. Ein Jahr Migrationspaket: Caritas zieht kritische Bilanz
Die Caritas zieht ein Jahr nach Verabschiedung des sogenannten Migrationspakets zu Asylrecht, Abschiebungen und Einwanderung eine kritische Bilanz. In der Gesamtschau würden "deutlich die negativen Aspekte überwiegen", sagte die Leiterin des Referats Migration und Integration, Andrea Schlenker, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie mache sich auch das Migrationspaket für Migranten und Flüchtlinge negativ bemerkbar.
Am 7. Juni 2019 hatte der Bundestag das sogenannte Migrationspaket beschlossen. Neben neuen Regelungen zu Abschiebungen und Asylrecht enthielt es unter anderem auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Die Gesetze traten nach und nach in Kraft. Mit der Neuregelung der Ausbildungsduldung und der neu eingeführten Beschäftigungsduldung seien Chancen verpasst worden, kritisierte Schlenker. In der Praxis sei von beidem wenig zu spüren. Auch habe das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" zahlreiche Verschärfungen - wie etwa eine erleichterte Abschiebehaft mit sich gebracht. Die Situation Betroffener werde immer schlechter, ohne dass sich dies in steigenden Abschiebezahlen niederschlage. "Es gibt Gründe dafür, dass Menschen nicht zurückkehren können", sagte die Referatsleiterin. Nach wie vor fehle zudem eine bundesfinanzierte unabhängige Asylverfahrensberatung – entgegen der Vereinbarung im Koalitionsvertrag.
Als "einen der wenigen positiven Aspekte" des Abschiebe-Gesetzes nannte Schlenker die Verankerung von Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften - allerdings müsse diese sich in der Praxis noch bewähren. Die ebenfalls im Paket enthaltene Entfristung der Wohnsitzauflage für Geflüchtete fördere indes die Integration nicht, sondern erschwere sie erheblich, sagte die Expertin. Schutzberechtigte seien etwa in Ballungszentren oft gezwungen, weiter in Flüchtlingsunterkünften zu leben, weil sie außerhalb keine Wohnung fänden. Auch werde mitunter die Arbeitsaufnahme erschwert, weil es zu lange dauere, die Wohnsitzauflage aufzuheben und weil Arbeitgeber nicht so lange warten wollten.
2. Coronavirus – Was Sie wissen sollten
Die Infektionszahlen haben zwar nachgelassen und ein Stück Normalität ist wieder spürbar. Doch gebannt ist die Gefahr einer Ansteckung lange noch nicht. In den beiden letzten Ausgaben haben wir Ihnen zahlreiche Quellen genannt, wo Sie bzw. Schutzsuchende sich (mehrsprachig) darüber informieren können. Eine solche Quelle ist die Internetseite Handbook Germany der Neuen Deutschen Medienmacher. Sie bietet einen Überblick zu Themen wie Arbeit, Schule, Freizeit und Pläne der Politik. Die Informationen werden regelmäßig aktualisiert und Neuerungen hinzugefügt. Über das Symbol der Weltkugel auf der Website kann die Internetseite in den Sprachen Deutsch, Arabisch, Englisch, Persisch, Türkisch, Französisch und Paschtu dargestellt werden.
Eine weitere sichere Quelle für mehrsprachige Informationen ist die Website der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Auch das Roma Antidiscrimination Network informiert auf seiner Webseite über das Coronavirus auf Romani. Außerdem verweist es auf die besonderen Auswirkungen der Folgen von Corona auf sozial Ausgeschlossene in ganz Europa. Mehr
3. Familiennachzug nach Corona – aktualisierte Beratungshinweise des DRK-Suchdienstes
Die Mai-Ausgabe der Beratungshinweise des DRK-Suchdienstes steht zur Verfügung. Dieser geht auf folgende Themen ein:
- Visa zur Familienzusammenführung – Einreisebeschränkungen
- Unverschuldeter Ablauf der Geltungsdauer bereits erteilter Visa
- Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts Berlin
Zum Problem des unverschuldeten Ablaufs der Geltungsdauer bereits erteilter Visa: Hiervon sind Personen betroffen, die kurz vor der Schließung der Auslandsvertretungen ein Visum erhalten haben, dieses aufgrund der Reisebeschränkungen aber nicht nutzen können. Diese Visa laufen demnächst ab. Um in diesen Fällen alles in der Sphäre des Klienten liegenden zu unternehmen, um Ansprüche zu wahren, sollte daher vor Ablauf des Visums ein Antrag auf Verlängerung/Neuausstellung des Visums bei der zuständigen Auslandsvertretung gestellt werden. Der DRK Suchdienst hat einen Muster-Antrag formuliert, den Sie hier finden.
Bitte achten Sie dringend darauf, dass die entsprechende Mitteilung, bzw. der Antrag auf Verlängerung/Neuausstellung vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des vorhandenen Visums bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung eingeht. Wie immer ist es zudem wichtig, die Versendung für den künftigen Nachweis zu dokumentieren (Fax-Sendebericht / E-Mail Sendung jeweils mit Zeit/Datum). In den Beratungshinweisen wird Bezug auf die Ausgabe vom 16.04.2020 genommen. Diese finden Sie hier.
4. Keine Glaubensprüfung von Konvertiten durch Verwaltungsgerichte
Neulich befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob Verwaltungsgerichte konvertierte Asylbewerber einer Glaubensprüfung unterziehen dürfen. Zwar haben die Karlsruher Richter es abgelehnt, eine Verfassungsbeschwerde anzunehmen, die sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen des Übertritts eines Iraners zum christlichen Glauben richtet. Damit haben sie das aus Sicht des Betroffenen negative Urteil aus der Vorinstanz bestätigt. Ob staatliche Gerichte eine inhaltliche Glaubensprüfung vornehmen dürfen, haben sie aber verneint. Auch die Wirksamkeit einer gültig vollzogenen Taufe darf von den Verwaltungsgerichten nicht in Frage gestellt werden, so das Bundesverfassungsgericht. Mehr
Das Katholische Büro Berlin hebt in seiner Einschätzung des Beschlusses folgende drei Punkte hervor:
- Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2020 (Az: 2 BvR 1838/15) bestätigt im Wesentlichen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 25. August 2015, und die darin entwickelten Maßstäbe für die Überprüfung der Asylbegehren von Konvertiten.
- Das BVerfG betont, dass die Gültigkeit der Taufe von Gerichten nicht in Frage gestellt werden darf. Gleichzeitig wurde erneut festgestellt, dass die Frage der Religionszugehörigkeit von der Frage, wann einem Konvertiten im Herkunftsland Verfolgung droht, zu unterscheiden ist.
- Sowohl das BAMF als auch die Gerichte müssen im Rahmen einer Prognoseentscheidung prüfen, ob dem Betroffenen in seinem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dazu müssen sich beide Institutionen von der identitätsprägenden Hinwendung zum Glauben überzeugen. Hierzu wird u.a. geprüft, inwiefern die Person mit den „Grundzügen“ der neuen Religion vertraut ist
5. LSG NRW bestätigt Anspruch auf digitale Endgeräte für Homeschooling
In der letzten Ausgabe unseres Newsletters hatten wir Sie auf eine Kampagne des Vereins Tacheles e.V. hingewiesen und Ihnen nahegelegt, potentielle Bedürftige zur Antragstellung auf einen Zuschuss für digitale Ausstattung für die Teilnahme am Schulalltag zu motivieren. Der Verein teilt in seiner Mitteilung vom Anfang Juni mit: Das Landessozialgericht NRW hat mit – rechtskräftigem - Beschluss vom 22.05.2020 entschieden, dass die Jobcenter Schüler/innen die Anschaffung eines digitalen Endgerätes als Corona bedingten Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II bewilligen müssen. Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II sind immer auf Zuschussbasis. Im vorliegenden Fall wurde ein Tablet von der Schule als notwendig erachtet, daher hat das Gericht für das beantragte Tablet zum Preis von 150 € diesen Betrag als vom Jobcenter zu übernehmenden Betrag festgesetzt. Der Beschluss des LSG NRW ist rechtskräftig und daher auch für andere Jobcenter in NRW bindend. Für Jobcenter in anderen Bundesländern sollte er als Orientierung dienen. Den Beschluss finden Sie hier.
6. Keine Kürzung von Asylbewerberleistungen
Das Landessozialgericht NRW hat in einem Eilverfahren entschieden: Der Ausschluss von Sozialleistungen für Menschen, deren Aufenthalt in Deutschland ausländerrechtlich hingenommen wird, ist nicht verfassungskonform. Geklagt hatte eine irakische Familie, die zunächst nach Griechenland eingereist war. Dort wurde ihr 2018 internationaler Schutz gewährt. Ein Jahr später reiste sie nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Im Oktober 2019 hat das BAMF den Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Antragsteller aufgefordert, Deutschland binnen einer Woche zu verlassen. Andernfalls würden sie nach Griechenland abgeschoben (Dublin). Aufgrund des anschließenden Klageverfahrens wurde die Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgesetzt. Dennoch kürzte das Land die Leistungen gem. § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG auf ein absolutes Minimum. Bereits das Sozialgericht Detmold hatte die Unrechtmäßigkeit dieser Praxis festgestellt. Nun hat das LSG die Beschwerde des Landes gegen diese Entscheidung des Sozialgerichts rechtskräftig abgewiesen. (Az.: L 20 AY 20/20 B ER)
7. Webinar: Rassismus und Hetze gegen Geflüchtete und andere Minderheiten im Zuge der Corona-Pandemie
Minderheiten und als „Andere“ markierte Menschen für unerklärliche und bedrohliche gesellschaftliche Entwicklungen, Krisen, Krankheiten und Pandemien verantwortlich zu machen und ihnen die Schuld zuzuweisen – das ist kein neues Phänomen. Auch in der Anfangsphase der Covid-19-Pandemie versuchten in Deutschland sofort extrem Rechte und Neurechte Akteure, die Krise zu nutzen und für die Verbreitung von Rassismus zu instrumentalisieren. Sie hetzten gegen Minderheiten mit der Behauptung, Geflüchtete und Migranten seien angeblich eine Gefahr als Überträger des Corona-Virus. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus veranstaltet dazu ein Webinar und lädt Interessierte herzlich ein. Das Onlineseminar findet am Dienstag, 11. August 2020 von 14.00 bis 17.00 Uhr statt. Weitere Informationen werden in den nächsten Tagen auf der Internetseite der BAG veröffentlicht.
8. Was uns zusammenhält
Im Rahmen eines Projekts „Für ein besseres Morgen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung gibt es drei Studien als Bestandteil einer dreiteiligen Publikations-Reihe „Was uns zusammenhält“.
- „Wie erreichen wir mehr Teilhabechancen bei Ausbildung und Beschäftigung?“. Hier werden Handlungsempfehlungen formuliert, die dazu beitragen können, Zugangs- und Teilhabechancen von Migranten und von Menschen mit ausländischem Pass zu erhöhen. Mehr
- „Wie erreichen wir mehr Teilhabechancen in unseren Schulen?“ lautet der Titel der zweiten Publikation. Hier werden, basierend auf einer Analyse, Ansätze vorgestellt, die dazu beitragen können, Schüler und Schülerinnen unabhängiger vom Elternhaus als bisher zu schulischem Erfolg zu verhelfen.
- Die dritte Publikation mit dem Titel „Wie erreichen wir mehr Teilhabechancen auf dem Wohnungsmarkt?“ beleuchtet die Zugangs- und Teilhabechancen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen auf dem Wohnungsmarkt und macht Vorschläge, wie diese durch verschiedene Ansätze, Instrumente und Förderanreize erhöht werden können. Mehr
9. Deutschland will 243 kranke Kinder von griechischen Inseln holen
Nach Informationen der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) will Deutschland 243 kranke Kinder aus den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufnehmen. Da der Verlauf der Corona-Pandemie wieder Handlungsmöglichkeiten eröffne, wolle man diese auch nutzen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Berlin. Begleitet würden die Kinder von minderjährigen Geschwistern und Elternteilen. Die Menschen könnten voraussichtlich Ende Juni oder im Juli nach Deutschland reisen, erklärte der Minister. Da bei allen Kindern zumindest Elternteile oder Geschwister mitkommen, dürfte die Zahl tatsächlich aufgenommener Flüchtlinge mindestens doppelt so hoch liegen.
Deutschland hatte Mitte April bereits 47 Kinder und Jugendliche aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufgenommen. Weitere sechs seien damals erkrankt gewesen und sollen nun nachgeholt werden, sagte Seehofer. Insgesamt hätte Deutschland damit dann 296 Kinder und Jugendliche sowie zusätzlich Angehörige aufgenommen. Außerdem hat Deutschland nach Angaben von Seehofer Italien und Malta angeboten, jeweils 80 aus Seenot gerettete Migranten zu übernehmen.
10. Handreichung: Aktiv werden! Für Demokratie – gegen Ausgrenzung
Die Kompetenzstelle gegen Rechtspopulismus der Diakonie Deutschland hat eine pädagogische Handreichung veröffentlicht. Das Heft bündelt Praxistipps, fachliche Hintergrundtexte, diakonische Perspektiven, Methoden zur Seminargestaltung und Literaturtipps. Eine Handreichung für alle, die erweiterte Handlungsfähigkeit erlangen wollen. Mehr
11. Wie die Rechten die Geschichte umdeuten
Die Neue Rechte kämpft ihren Kampf um kulturelle Hegemonie – und die Deutungshoheit über die jüngere Geschichte ist einer ihrer wichtigsten Schauplätze. Zwar ist Geschichtsrevisionismus kein neues Phänomen, doch mit dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte in den vergangenen Jahren, dem Einzug der AfD in den Bundestag und in sämtliche Landtage sowie der Gründung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung werden geschichtsrevisionistische Positionen auch in der Öffentlichkeit zunehmend prominenter geäußert. Das Themenheft "Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus – Wie die Rechten die Geschichte umdeuten" gibt einen Überblick über aktuelle Formen von Geschichtsrevisionismus, benennt wichtige Akteure und deren typische Argumentationsfiguren und zeigt, an welche gesellschaftlichen Einstellungen sie anknüpfen. Schließlich gibt das Themenheft Anregungen, geschichtsrevisionistischen Positionen argumentativ oder praktisch entgegenzutreten. Hier steht die Onlineversion zur Verfügung. Exemplare der Printversion können gegen eine Spende bezogen werden.
12. Zur aktuellen Lage in „sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans
Im Mai 2020 hat der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen interessanten Bericht zur Lage in den als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuften Ländern des Westbalkans verfasst. Hintergrund der Veröffentlichung ist die Verpflichtung der Bundesregierung, alle zwei Jahre die Lage in diesen Ländern neu zu bewerten. Dieser Pflicht ist sie am 20.12.2019 nachgekommen und wie zu erwarten, alle Einstufungsvoraussetzungen bejaht.
Mit dem vorliegenden Bericht lenken die Verfasser die Aufmerksamkeit insbesondere auf Serbien, Nordmazedonien und dem Kosovo. Sie möchten in ihrem Überblick, neben einigen möglichen positiven Entwicklungen, einen Korrektiv zum Bericht der Bundesregierung anbieten, der die Lage beschönigend und oberflächlich beschreibt, und wichtige Themen und Probleme negiert, verschweigt oder kleinredet, wie es in der Einleitung heißt. Mehr
13. Keine Wohnsitzverpflichtung für im Inland geborene Kinder
Die Wohnsitzregelung für Schutzberechtigte nach § 12a AufenthG gilt nicht für die in der Bundesrepublik geborenen Kinder, wenn sie bei deren Eltern bereits abgelaufen ist. Zuvor hatten einige Ausländerbehörden im Inland geborenen Kindern eine Wohnsitzverpflichtung erteilt, obwohl deren Eltern einer solchen nicht mehr unterliegen. Dieses Vorgehen ist nach Auffassung des BMI rechtswidrig: Die Wohnsitzregelung diene nicht dazu, durch die Geburt eines Kindes eine neue Wohnort- bzw. Bundeslandbindung der gesamten Familie herbeizuführen.
14. Antragshilfen des Flüchtlingsrates Thüringen
Der Flüchtlingsrat Thüringen hat verschiedene aktuelle Antragshilfen zur Verfügung gestellt. Hintergrund ist, dass aufgrund der Corona-Pandemie von Abschiebungen derzeit größtenteils abgesehen wird bzw. diese aufgrund fehlender Reiseverbindungen nicht mehr durchgeführt werden können. Voraussetzung für bestimmte Einschränkungen von Rechten ist jedoch, dass die Betroffenen die Gründe für die Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung selbst zu vertreten haben. Hierauf basieren die Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG, die Erteilung eines Arbeitsverbotes nach § 60a Abs. 6 Nr. 2 AufenthG sowie die Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG. Für diese drei Einschränkungen hat der Flüchtlingsrat Musteranträge erstellt, mit denen eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen erreicht werden soll. Zudem stellt der Flüchtlingsrat Vorlagen zur Beantragung der Unterbringung in einer Einzelunterkunft aufgrund der Corona-Pandemie sowohl für gestattete als auch für geduldete Personen bereit. www.fluechtlingsrat-thr.de unter „Arbeitshilfen/Antragsmuster“.
15. Wartezeiten für Visa in Bezug auf Westbalkanregelung
Anfang März 2020 lagen in den deutschen Auslandsvertretungen in Albanien, Kosovo, Montenegro, Serbien, Nordmazedonien sowie Bosnien und Herzegowina über 190.000 Terminanfragen mit Bezug zu der „Westbalkanregelung“ vor. Die Wartezeiten für einen Visumtermin liegen derzeit zwischen acht und zwölf Monaten. Nach der Westbalkanregelung können Staatsangehörige der genannten Länder bis Ende 2020 (!) Arbeitsvisa für Deutschland beantragen. Über eine Verlängerung dieser Regelung wurde bisher noch nicht entschieden.
16. BAMF - Keine unabhängige Asylverfahrensberatung in Ankunfts- und "Anker"-Zentren
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, Asylsuchenden eine unabhängige Beratung im Asylverfahren zu ermöglichen. Bis heute gibt es in Ankunfts- und „Anker“-Zentren jedoch keine Beratungsangebote von unabhängigen Wohlfahrtsorganisationen. Stattdessen hat das BAMF seit Inkrafttreten des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ Ende August 2019 an insgesamt 21 Orten selbst Beratungsangebote für Geflüchtete geschaffen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Für eine unabhängige Beratung müssten Asylsuchende also selbständig mit Wohlfahrtsverbänden Kontakt aufnehmen – andernfalls werden sie in den Einrichtungen ausschließlich von BAMF-Mitarbeiter*innen beraten. Zudem hat das BAMF die Beratung im Zuge der Corona-Pandemie stark eingeschränkt
17. Politisierung durch Konflikt – Auswirkungen sozialer Konflikte auf die Politisierung von Freiwilligen in der Geflüchtetenarbeit
In einem Working Paper des Projekts Perspektive Teilhabe vom Oktober 2019 wird untersucht, inwieweit lokale soziale Konflikte über die Aufnahme von Geflüchteten zu einer Politisierung von Freiwilligen beitragen, die mit Geflüchteten arbeiten. Dazu wird zunächst auf empirische Forschungsergebnisse zur Motivation, Verläufen und Auswirkungen freiwilligen Engagements eingegangen, bevor der Konflikt über die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland nachgezeichnet und eingeordnet wird. Daran anschließend wird basierend auf Forschungen zu politischer Sozialisation und politischem Lernen ein Modell individueller Politisierung entwickelt, um die Auswirkungen lokaler sozialer Konflikte Freiwilliger bewerten zu können. Mehr
18. Studienkredit und Überbrückungshilfe für ausländische Studierende
Seit dem 16. Juni 2020 können Studierende monatliche Überbrückungshilfen in Höhe von max. 500 Euro beantragen. Dies gilt auch für ausländische Studierende, die an einer deutschen Hochschule eingeschrieben sind, soweit ersichtlich unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Die Anträge müssen hier online gestellt werden. Voraussetzung sind eine pandemiebedingte Notlage und ein Kontostand am Tag vor der Antragstellung von weniger als 500 Euro. Die Überbrückungshilfe wird in den Monaten Juni, Juli und August über das jeweilige Studierendenwerk ausgezahlt und muss für jeden Monat neu beantragt werden. Sie muss nicht zurückgezahlt werden.
Neben dieser Überbrückungshilfe ist auch ein zinsloser Studienkredit möglich. Seit Juni 2020 ist dieser vorübergehend auch für drittstaatsangehörige Studierende sowie Unionsbürger mit weniger als dreijährigem Aufenthalt geöffnet worden. Infos gibt es hier und auf der Homepage des Studierendenwerks. Mehr
19. Rettungskette für Menschenrechte
Die ursprünglich für den 16.05.2020 geplante Menschenkette für Menschenrechte musste leider wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Nun steht der neue Termin fest: Die Aktion findet am Samstag, den 24. April 2021 statt. Zahlreiche Standorte der Menschenkette zwischen Hamburg und Chioggia/Italien führen durch das Erzbistum Paderborn (Minden – Bielefeld – Dortmund). Einzelne Stationen der Menschenkette finden Sie hier. Bitte informieren Sie sich vor Ort, welche Organisation als Hauptansprechpartner fungiert. Nach den Sommerferien werden alle Dekanate und Caritasverbände entlang der Route angeschrieben und zur aktiven Unterstützung motiviert. Mehr
20. Überstellung auch von jungen arbeitsfähigen Männern nach Italien nicht verantwortbar
Unmittelbar vor Redaktionsschluss erreichte uns über die Liste-Münsterland folgende Mitteilung: „In einem großartigen, von Rechtsanwältin Stuhlmacher aus Gifhorn erstrittenen Urteil hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig am 21.04.2020 - AZ 3 A 112/19 - u.a. unter Verweis auf das Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus Januar 2020 entschieden, dass aufgrund der zunehmenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Italien nunmehr eine Situation eingetreten sei, die auch die Überstellung von jungen und arbeitsfähigen Männern nicht mehr verantwortbar erscheinen lasse. Personen, die in Italien schutzberechtigt sind, seien in Italien von Obdachlosigkeit und sozialer Verelendung bedroht. Die Arbeitslosenquote liege für 15 - 29jährige bei 28%. Die ohnehin schon schwierige Lage habe sich durch die Pandemie nochmals drastisch verschlechtert. Der Betroffene fände sich in Italien in einer für ihn nicht mehr beherrschbaren Notlage wieder, der er nicht entrinnen könne. Aufgrund der fortbestehenden und für Obdachlose noch gesteigerten Gefährdung durch das Virus Covid 19 sei auch eine gesundheitliche Gefährdung gegeben. Insofern wäre eine Überstellung nach Italien einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK / Art. 4 GRC. Der 10 Senat des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hat den Antrag des BAMF auf die Zulassung der Berufung mit Entscheidung vom 29. Mai 2020 - 10 LA 114/20 – zurückgewiesen.“ Sowohl das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig als auch den Beschluss des OVG Lüneburg finden Sie hier.
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Herausgeber: Domkapitular Dr. Thomas Witt
Redaktion: , Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn,
, Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V.