Januar 2022
1. Vergleich unter den Bundesländern: Wo gelingt Integration besser?
Corona zum Trotz: Zahlen der Bundesländer für 2020 zeigen, dass es Fortschritte bei der Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund gab. Der MEDIENDIENST hat in seiner Rubrik "Bundesländer" die wichtigsten Erkenntnisse zusammengetragen: Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in den Bundesländern? Wie viele Schutzsuchende? Wie ergeht es Menschen ohne deutschen Pass im Schulsystem und auf dem Arbeitsmarkt? Und wie steht es um die Vielfalt in Landesbehörden? Mehr
2. Rechtshilfefonds der Caritas NRW unterstützt Musterklagen
Die fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW haben einen gemeinsamen Rechtshilfefonds aufgelegt, um Betroffene und ihre Anwälte in besonders gelagerten Fällen zu ermutigen, den Klageweg einzuschlagen (Musterklagen). Der erste abgeschlossene Prozess aus dem Caritas-Rechtshilfefonds endete mit Erfolg für einen Flüchtling aus Syrien: Am 15.12.2021 entschied das Verwaltungsgericht Wiesbaden, dass dem syrischen Flüchtling, der vor dem Militärdienst desertiert war, nicht nur der subsidiäre Schutz, sondern die volle Flüchtlingseigenschaft gem. §3 AsylG zuzuerkennen ist.
Der Caritas geht es darum, behördliche Entscheidungen und auch einige der gesetzlichen Verschärfungen des sogenannten Migrationspaketes zum Gegenstand gerichtlicher Überprüfung zu machen. Die Auswahl der konkreten Verfahren treffen die Rechtsberater/innen und Anwälte der fünf Diözesan-Caritasverbände gemeinsam (Aktenzeichen: 6 K 823/20.WI.A)
3. Seenotrettung innerhalb der Caritas „Vergegenwärtigen“
Am 18.01.22 fand ein Austausch zum Thema zivile Seenotrettung im Mittelmeer mit Martin Kolek statt. Neben dem Flüchtlingsbeauftragten Direktor Josef Lüttig nahmen weitere Vertreter des Diözesan-Caritasverbandes sowie des Orts-Caritasverbandes Paderborn am Treffen teil. Hauptsächlich ging es darum, Informationen aus erster Hand zu bekommen (Herr Kolek hat seinen jüngsten Einsatz auf dem Mittelmeer im August 2021 absolviert), das Thema international einzuordnen und mögliche Konsequenzen im Zuständigkeitsbereich des DiCV zu diskutieren. Die EU, die sich seit Jahren aus der Seenotrettung zurückgezogen hat, das Feld der sogenannten lybischen Küstenwache überlassen hat und zivile Organisationen für ihre Arbeit eher kriminalisiert, schnitt dabei nicht gut ab. Auch die zusätzliche Belastung, mit der die Mittelmeeranrainerstaaten zu kämpfen haben und die dringend erforderliche Solidarität durch die anderen EU-Staaten kam zur Aussprache. Als Konsequenz für den Alltag innerhalb der Caritas wurde besprochen: „Vergegenwärtigen“. So soll neben der Thematisierung in verschiedenen Gremien und Abteilungen des DiCV die AG-Flüchtlingshilfe des Deutschen Caritasverbandes auf einer ihrer nächsten Sitzungen hier einen Schwerpunkt setzen. Das Erzbistum Paderborn hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch finanzielle Unterstützung an verschiedene Rettungsorganisationen wie Sea-Eye Rettungseinsätze ermöglicht. Währenddessen wurde bekannt, dass im Jahre 2021 mindestens 2.043 Todesfälle beim Versuch das Mittelmeer zu überqueren, zu beklagen sind. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
4. Afghan*innen haben sofortigen Zugang zu Integrationsleistungen
Das BAMF hat alle Integrationskursträger angeschrieben und informiert, dass Afghanistan nunmehr als Herkunftsland mit guter Bleibeperspektive eingestuft werde. Demnach können Afghan*innen seit dem 17.01.2022 bereits während des Asylverfahrens an staatlich geförderten Integrations- und Sprachkursen teilnehmen. Außerdem dürfen sie durch die bundesgeförderte Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) beraten werden. Ehemalige afghanische Ortskräfte oder besonders gefährdete Personen, die aufgrund einer Aufnahmezusage nach § 22 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, erhalten bereits vor dem oben genannten Datum Zugang zur MBE und anderen Integrationsleistungen.
5. Fiktionsbescheinigung – wichtige Hinweise für alle Beteiligten erschienen
Durch die Pandemie sind viele Behörden für ihr Klientel schwer erreichbar. Ist eine Ausländerbehörde im Spiel und die Betroffenen können eine Verlängerung ihres Aufenthaltstitels oder eine Neuausstellung nicht beantragen, können die Folgen verheerend sein. Die freie Wohlfahrt hat oft genug die Landesregierung mit der Problematik konfrontiert und Verbesserungen angemahnt.
Integrationsminister Stamp hat zuletzt am 19.01.2022 im Integrationsausschuss dazu Stellung bezogen und auf die bestehende Möglichkeit einer Fiktionsbescheinigung gem. §81 AufenthG hingewiesen. Kurz vorher wurden auf der Webseite des Ministeriums klärende Hinweise zu Fiktionsbescheinigung und ihren Auswirkungen eingestellt. Dadurch soll neben den Betroffenen selbst, die oft verunsichert sind, wie auch Arbeitgebern, Vermietern und staatlichen Leistungserbringern der tatsächliche Aufenthaltsstatus erklärt werden: In der Regel gilt mit der Fiktionsbescheinigung der bisherige (positive) Status weiterhin.
6. Persönliche Vorsprache bei der Botschaft unumgänglich
Eine weniger erfreuliche Entscheidung für Menschen in Afghanistan, die auf ein Visum für die Familienzusammenführung angewiesen sind, hat das Verwaltungsgericht Berlin getroffen. Eine 26-jährige Afghanin und ihr Kind versuchen seit 2019 zu ihrem in Deutschland lebenden und eingebürgerten Ehemann bzw. Vater zu ziehen. Aufgrund der bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban nicht vorhandenen Vorsprachemöglichkeit in Afghanistan wurden ihnen zwei Termine bei der Botschaft in Islamabad/Pakistan angeboten. Die Ausreise aus Afghanistan schlug fehl, die eingereichten Unterlagen wie Passkopien reichten für die Botschaft in Islamabad nicht aus, um die Identität der Personen festzustellen. Dem Begehren, ohne persönliche Vorsprache ein Visum ausgestellt zu bekommen, erteilte die 21. Kammer des zuständigen Verwaltungsgerichts eine Absage. Zur Begründung hieß es, eine persönliche Vorsprache in Islamabad sei grundsätzlich möglich (Az.: VG 21 L 640/21 V).
7. Anonyme Behandlung für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität
Sich ärztlich behandeln lassen und trotzdem anonym bleiben. Geht das in Deutschland überhaupt? Oft aus Unwissenheit oder aus Angst vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen lassen sich Menschen nicht behandeln. Das muss aber nicht sein. Dafür gibt es bundesweit zahlreiche Standorte in Trägerschaft unterschiedlicher Vereine und Organisationen, wo Menschen sich behandeln lassen und trotzdem anonym bleiben können. Während einige Angebote im Allgemeinen bekannt sind, braucht man für andere Insidertipps zum Beispiel eine Migrationsberatungsstelle. Ein solches Beispiel mit klarem Profil und öffentlichen Sprechzeiten ist die MMM – Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Siegen. Neulich haben die Malteser für das abgelaufene Jahr Bilanz gezogen. Mehr
8. Handlungskonzept der Deutschen Bischofskonferenz erschienen
Am 21.01.2022 hat die Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz ein Handlungskonzept zur Seelsorge für Geflüchtete in Aufnahmeeinrichtungen veröffentlicht. Der Vorsitzende der Migrationskommission, Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg) betont im Geleitwort: „Mit dem vorliegenden Dokument richtet die Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz den Blick auf die Situation von Flüchtlingen, die nach ihrer Ankunft in Deutschland in einer größeren Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden. Solche Aufnahmeeinrichtungen sind in der Regel nur schwer zugänglich, bedeuten meist eine Trennung von der lokalen Bevölkerung und verhindern gesellschaftliche Teilhabe“. Die Broschüre „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen (Mt 25,35) - Handlungskonzept zur Seelsorge für Flüchtlinge in Aufnahmeeinrichtungen“ ist als pdf-Datei zum Herunterladen unter www.dbk.de in der Rubrik Publikationen verfügbar. Dort kann das Dokument auch als Broschüre (Die deutschen Bischöfe – Migrationskommission Nr. 53) bestellt werden.
9. MKFFI fördert Engagement muslimischer und alevitischer Vereine mit zwei Millionen
Die Landesregierung fördert den ehrenamtlichen Einsatz gesellschaftlicher Gruppen. Mit dem Förderprogramm „Zivilgesellschaftliches Engagement muslimischer und alevitischer Communities in NRW – sichtbar machen, empowern, vernetzten“ sollen Vereine aus den genannten Communities mit einem Betrag von zwei Millionen Euro unterstütz werden. Die Landesregierung fordert sie auf, sich für eine Projektförderung zu bewerben. Insbesondere Projekte, die junge Erwachsene, ältere Menschen, Frauen und vulnerable Personen zur Zielgruppe haben, sollen gefördert werden. Den Aufruf finden Sie hier. Weitere Informationen zum Verfahren erteilt das Kompetenzzentrum für Integration (KfI) der Bezirksregierung Arnsberg. Mehr
10. Berücksichtigung nichtstaatlicher Hilfe bei der Abschiebungsprognose
Unterstützungsleistungen vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfeorganisationen sind bei der Prognose der materiellen Lebensverhältnisse im Abschiebungszielstaat zu berücksichtigen. Dadurch wird laut Bundesverwaltungsgericht erkennbar, ob die Schutzberechtigten wegen ihrer extremen Notlage eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren. Eine derartige Gefahr drohe im Fall von Ungarn aber nicht. Mehr
11. Neue Regelungen zu Stromsperren in Kraft getreten
Zum 01.12.2021 sind die neuen Schutzvorschriften zur Sperrung von Energielieferungen in Kraft getreten. Für die Strom- und Gasversorgung regeln die jeweils weitgehend gleichlautenden §§ 19 der Stromgrundversorgungsverordnung und der Gasgrundversorgungsverordnung die Zulässigkeit und Voraussetzungen von Sperren bei Zahlungsverzug von Kund*innen. Der Schwellenwert, ab dem eine Sperre zulässig ist, wird von bisher 100 EURO auf das Doppelte des monatlichen Abschlags oder einem Sechstel der voraussichtlichen Jahresrechnung angehoben. Mehr
12. Auswärtiges Amt zur Lage von Konvertiten im Iran
Der Flüchtlingsrat NRW hat eine Stellungnahme des AA vom 29.11.2021 veröffentlicht. Darin geht es um die drohende Gefahr bei einer evtl. Rückkehr in den Iran für Konvertiten oder im Falle von exilpolitischen Aktivitäten. Auf Anfrage in einem konkreten Fall teilt das AA dem Verwaltungsgericht Oldenburg mit: „Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist davon auszugehen, dass die iranischen Behörden auch im Ausland sehr aktiv sind in der Überwachung ihrer Staatsangehörigen. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Bekanntmachung der Konversion zum Christentum auf Facebook im Ausland der iranischen Behörden nicht nur bekannt werden kann, sondern sehr wahrscheinlich auch zu einer Überwachung durch die Behörden führen kann“. Das AA könne über mögliche Konsequenzen für Konvertiten bei einer evtl. Rückkehr keine Aussage treffen. Mehr
13. In 2021 wieder mehr Asylanträge in Deutschland
Nachdem 2020 wegen der Corona-Einreisebeschränkungen vergleichsweise wenige Schutzsuchende Asyl in Deutschland beantragt haben, ist die Zahl der Asylanträge 2021 um 56,2 Prozent auf rund 191.000 gestiegen. Mehr als 60 Prozent von ihnen kamen aus nur drei Ländern: Syrien (70.162), Afghanistan (31.721) und Irak (16.872). Nur ein Teil der Anträge wurde jedoch von Menschen gestellt, die auch im vergangenen Jahr nach Deutschland eingereist sind: 22,3 Prozent der Anträge sind sogenannte Folgeanträge – also Anträge von Menschen, die mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in Deutschland waren. Weitere 17,5 Prozent der Anträge wurden für Kinder von Geflüchteten gestellt, die in Deutschland geboren sind (Quelle: Mediendienst)
14. Unwort des Jahres 2021
Erneut hat ein Ausdruck aus dem Bereich Flucht und Migration es geschafft, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden: Aus über 1.300 Einsendungen mit 454 Begriffen hat die überwiegend aus Sprachwissenschaftler*innen bestehende Jury „Pushback“ auf den ersten Rang gewählt, den zweiten Platz belegt „Sprachpolizei“. Die Kür des ersten Rangs begründet die Jury zutreffend damit, es werde "ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt, der den Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nimmt, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen". Nach „Abschiebe-Industrie“ (2018) und Rückführungspatenschaften (2020) kommen somit drei von vier Unwörter der vergangenen Jahre aus dem Bereich Flucht und Asyl.
15. Zwischen Stürmerstars und Gewalttätern – das Migrantenbild in Medien
Beim Thema Sport zeichnen Leitmedien ein größtenteils positives Bild von Eingewanderten und Geflüchteten. In der Kriminalitätsberichterstattung kommt es zur Verzerrung: Ausländische Tatverdächtige werden weit öfter genannt, als es ihrem Anteil in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik entspricht. Der Medienforscher Professor Thomas Hestermann (Macromedia-Hochschule) kommt in einer Expertise für den Mediendienst Integration zum Ergebnis, dass Zeitungen und TV-Sender 2021 häufiger die positiven Seiten der Zuwanderung betonen, jedoch komme aus auf den Kontext an. Eine besondere Rolle spielen dabei der Sport und die Altenpflege. Was die Nennung der Herkunft ausländischer Tatverdächtiger angeht, komme es zu einer Verzerrung der Kriminalstatistik: Bei ausländischen Tatverdächtigen werde die Herkunft 16 Mal häufiger genannt als bei deutschen Tatverdächtigen. Außerdem hätten die Ereignisse der Silvesternacht am Kölner Bahnhof 2015/16 die Praxis der meisten Medien, ob die Herkunft von Tatverdächtigen genannt werde oder nicht, nachhaltig beeinflusst. „Gleichwohl ist die Berichterstattung über Eingewanderte und Geflüchtete in Deutschland vielfältiger, sachlicher und gelassener geworden. Doch die gesellschaftliche Fieberkurve bleibt flatterhaft. Es reicht ein verblendeter Gewalttäter ausländischer Herkunft, um neue Debatten über Migration und Staatsversagen zu befeuern“ so die Autoren zum Fazit der Studie, die Sie hier finden.
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Herausgeber: Josef Lüttig, Flüchtlingsbeauftragter
Redaktion: Hezni Barjosef, Koordination Flüchtlingshilfe im Erzbistum Paderborn, ;