Wenn ehrenamtliche Helfer auf traumatisierte Flüchtlinge treffen

Portraitaufnahme zweier Frauen Informierten Caritas-Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit über Traumatisierungen bei Flüchtlingen: Trauma-Therapeutin Elisabeth Montag (links) und Elisabeth Völse (Caritas-Konferenzen im Erzbistum Paderborn). cpd / Jonas Paderborn, 13. November 2015. (cpd) In seiner Heimat Gambia wurde er als Oppositioneller gefoltert, viele seiner Freunde getötet. Nach langer Flucht erreichte Ousman S. Deutschland und erhielt Asyl. Doch er ist traumatisiert. Blitzhafte Erinnerungen, sogenannte Flashbacks, überwältigen ihn immer wieder, holen Bedrohungen, Foltererlebnisse und Schreie seiner Freunde im Gefängnis wieder ins Gedächtnis. Er beschließt sich umzubringen. Doch als er sich auf seinem Balkon aufhängen will, sieht ihn ein Nachbar und rettet ihn. Ousman hat Glück: Er bekommt einen der seltenen Therapieplätze und lernt, mit seinen Traumata umzugehen.

Mit traumatisierten Menschen wie Ousman haben Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe häufig zu tun. Das Land NRW schätzt, dass bis zu 40 Prozent der in Deutschland lebenden Flüchtlinge durch die Ursachen und die Umstände der Flucht traumatisiert wurden. „Für viele wird der Traum von einem Leben in Sicherheit zum Trauma“, sagte Elisabeth Völse bei einem Workshop der Caritas-Konferenzen im Erzbistum Paderborn. Wie zeigen sich Traumata? Wie gehe ich mit einem Traumatisierten um? Wichtig sei zunächst ein freundlicher und achtsamer Umgang, erklärte Elisabeth Montag, Psychologin, Trauma-Therapeutin und Geschäftsführerin des Caritasverbandes für den Kreis Lippe, rund 30 ehrenamtlichen Caritas-Mitarbeitern im Liborianum in Paderborn. „Du bist sicher“, sei ein wichtiger Satz, wenn Traumatisierte in einem „Freeze“, in einer Schockstarre, von sprachlosem Entsetzen überwältigt werden. Dieser Zustand sei in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als „Kriegszittern“ bekannt gewesen. „Dann haut es eine Sicherung im Gehirn raus. Das ist ein Schutzschalter, damit wir nicht an einem Schock sterben.“

Kriegserfahrungen, Folter, Kriminalität, Geiselnahme, der plötzliche Verlust vertrauter Menschen – all dies könne Traumata auslösen. Und zwar auch bei den Zuhörern, denen ein Flüchtling seine dramatischen Erlebnisse anvertraut. Manchem Flüchtlingshelfer gehen die gehörten Geschichten tagelang nicht aus dem Kopf. Wenn der Schrecken überspringt, spreche man von einem „Sekundär-Trauma“, erklärte Elisabeth Montag. Für die Helfer sei es daher wichtig, innerlich einen gewissen Abstand zu halten, Rückzugsmöglichkeiten zu nutzen und sich bei zu großer eigener Belastung mit anderen Helfern abzuwechseln.

Traumata können auch erhebliche rechtliche Probleme nach sich ziehen, erklärte die Paderborner Rechtsanwältin Judith Herbe. Denn durch traumatische Erlebnisse werde das Erinnerungsvermögen teilweise drastisch beeinträchtigt. Doch bei der nur einmalig möglichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei eine vollständige, widerspruchsfreie, detailreiche und lebendige Schilderung der Flucht- und Asylgründe notwendig. Das sei für Traumatisierte jedoch sehr schwierig zu erfüllen, manchmal auch unmöglich, weil Erlebtes verdrängt wurde. Ehrenamtliche sollten deshalb Traumatisierte zu einer Beratungsstelle bringen und das Bundesamt informieren. Denn diese hätten einen Anspruch, von einer Fachkraft angehört zu werden, erklärte Judith Herbe.

Kritisch setzte sie sich mit dem neuen, seit Ende Oktober geltenden Asylrecht auseinander. „Die schlimmste Veränderung ist die Abschiebung ohne Ankündigung. Flüchtlinge werden wieder abgeholt.“ Das sei ein Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten von vor 20 Jahren. „Standards, die in der Flüchtlingshilfe erreicht wurden, werden zurückgedreht.“ Doch: „Die Menschenwürde muss geachtet werden“, forderte Judith Herbe.