Urlaub vom Alltag
Bei den Internationalen Kulturferien machen Geflüchtete gemeinsam mit deutschen Familien Urlaub
Abdullah Muradi aus Afghanistan nimmt mit seiner Familie bereits zum zweiten Mal an den Internationalen Kulturferien teil. Foto: Till Kupitz „Der oder die Mais?“, fragt Abdullah Muradi und hält sein selbstgemaltes Bild in den Händen: eine blaue Maispflanze vor gelbem und grünem Hintergrund. „Der Mais ist richtig“, antwortet Annegret Meyer, die selbst gerade ein Bild zeichnet. Aber es heiße die Maispflanze, fügt sie hinzu. Abdullah Muradi lächelt, fährt mit den Fingern über sein Bild und redet dann weiter: „Der Mais, die Maispflanze, der Maiskolben…“. Er überlegt kurz: „… und die Wurzel“, sagt er, während Annegret Meyer zustimmend nickt.
Hier, im Landhaus am Heinberg, ist gerade Malen angesagt. Die Bildungsstätte, die nahe Warburg etwas abgelegen inmitten von gelben und grünen Feldern liegt, ist derzeit ein Treffpunkt für Menschen völlig verschiedener Kulturen. Es laufen die „Internationalen Kulturferien“. Von Ehrenamtlichen ins Leben gerufen, machen deutsche Familien mit Geflüchteten fast eine Woche lang zusammen Urlaub. Beim Malen, einer Stadtwanderung, Abenden am Lagerfeuer oder anderen Spielen steht der Spaß im Vordergrund. Verknüpft wird alles aber auch mit Unterrichtsstunden zur deutschen Sprache, der deutschen Kultur und anderen Bildungsinhalten. Deshalb wird das Angebot auch von der Katholischen Erwachsenen- und Familienbildung Paderborn gefördert. Nach der Premiere im vergangenen Jahr finden die Internationalen Kulturferien nun zum zweiten Mal statt.
Endlich Urlaub nach Coronapandemie und Ausgangsbeschränkungen
„Die Menschen hier vertiefen bestenfalls Kontakte und kommen zueinander in Beziehung“, erklärt Annegret Meyer, eine von fünf Ehrenamtlichen. Gerade durch die Coronapandemie und die Ausgangsbeschränkungen seien einige Menschen sehr isoliert gewesen und hätten jetzt das Bedürfnis, „einfach mal Urlaub zu machen.“ So geht es auch Annegret Meyer: Sie macht mit ihrer Familie in diesen Tagen ebenfalls im Landhaus Urlaub. Gemeinsam mit Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak, Iran oder Angola. Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Viele von ihnen leben seit 2015 in Deutschland. Die Grundbedingung, um nun an den gemeinsamen Ferien im Landhaus am Heinberg teilnehmen zu können: die Chance auf Anerkennung, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen. „Wir mussten in diesem Jahr sogar einigen Leuten absagen, weil wir viele Anmeldungen hatten“, beschreibt Meyer. 24 Teilnehmer bilden nun den Kern der „Internationalen Kulturferien“. Einige andere sind aus Zeitgründen nur an einzelnen Tagen da.
Romina Muradi mit Arnhild Wöste aus Warburg. Die Lehrerin gestaltet die Kulturferien als Ehrenamtliche mit. Foto: Till Kupitz. Abdullah Muradi aus Afghanistan war mit seiner Familie bereits im letzten Jahr dabei. Sie wohnen in Paderborn und sind gerne auch in diesem Jahr wieder hergekommen. Seine Tochter Romina hat sich extra Urlaub genommen. Sie macht derzeit eine Ausbildung zur Erzieherin, erzählt sie, während sie ihr Bild zeichnet. „Mir hat es einfach sehr gefallen letztes Jahr“, sagt sie in perfektem Deutsch. „Der Zusammenhalt, die Spiele, miteinander zu reden: Das hat richtig Spaß gemacht. Gerade durch die Spiele habe ich auch viele deutsche Wörter gelernt.“
Zusammen eine gute Zeit erleben – darum geht’s
Was hier im Kleinen geschieht, macht Mut und auch Hoffnung: Menschen verschiedener Kulturen mit völlig unterschiedlichen Geschichten erleben zusammen eine gute Zeit. Sie lachen und reden miteinander. Sie hören sich zu, lernen voneinander und genießen die gemeinsamen Stunden. „Genau darum geht’s hier auch: Ferien für alle“, sagt Annegret Meyer. „Wir wollen zusammen diese Erfahrungen hier machen und manchmal einfach auch gemeinsam zusammensitzen und uns etwas erzählen.“
Bei Märchenerzählen, Lagerfeuer oder Sprachspielen fänden die Geflüchteten immer wieder den Kontakt zur deutschen Kultur und würden sie besser verstehen. Dazu bekommen sie unter anderem auch gezeigt, wie man Word-Dokumente oder PDF-Dateien für eine Bewerbung erstellt. Bei einer Städtewanderung durch Warburg lernen sie mehr über die Geschichte der Stadt. Oder alle bekommen bei einem Ausflug zum Verein „gewaltfrei handeln e.V.“ gezeigt, was gewaltfreie Kommunikation bedeutet. „Jeder soll erleben, was es hier im Umland so alles gibt – das wissen teilweise nicht mal die Deutschen“, erklärt Annegret Meyer und lacht.
Die Teilnehmenden haben das Programm selbst mitgestaltet
Was zeigt, wie viel Lust die Teilnehmer auf die Kulturferien hatten: Teilweise haben die, die im letzten Jahr schon dabei waren, das Programm in diesem Jahr selbst mitgestaltet und eigene Ideen eingebracht. Unter anderem das macht Annegret Meyer Mut, dass die Tage wirklich langfristig Mehrwert haben: „Denn auch wir Ehrenamtliche wollen ja gar nicht extra etwas für die Leute machen, sondern miteinander diese Zeit erleben.“ Ein Urlaub, wie ihn andere Familien eben auch verbringen. Je normaler, desto besser, findet die Ehrenamtliche aus Holtheim.
Suhaila Nazari aus Afghanistan kommt auch deshalb zu den Kulturferien, um andere Familien kennenzulernen. Foto: Till Kupitz Suhaila Nazari aus Afghanistan kommt auch deshalb zu den Kulturferien, um andere Familien kennenzulernen. Foto: Till Kupitz Das ist eine schöne Erholung für uns“, sagt auch Suhaila Nazari, die Frau von Abdullah Muradi. Weil ihr Mann nicht mehr so gut hören kann, werde in der Familie zuhause eher persisch gesprochen. Daher sei es für sie eine tolle Möglichkeit, während der Kulturferien mit anderen Menschen Deutsch zu sprechen. Mit Ursula Begerow ist eine Sprachlehrerin ehrenamtlich bei den Ferien aktiv und übt mit den Geflüchteten Deutsch. „Ich kann Fragen stellen und bekomme sofort Hilfe“, erklärt die 50-jährige Suhaila, die ebenfalls eine Ausbildung zur Erzieherin macht. Schon im letzten Jahre habe sie durch die Tage am Landhaus am Heinberg andere Familien kennengelernt. Daher war es klar, dass sie wieder teilnehmen wollte.
“Wann fahren wir wieder zum Landhaus?”
Wiederkommen – etwas, womit Arnhild Wöste aus Warburg, ebenfalls Ehrenamtliche, fast ein Jahr lang konfrontiert wurde. „Wann fahren wir wieder zum Landhaus?“, hätten die Kinder sie immer gefragt, wenn man sich in der Stadt gesehen hätte. „Ein Jahr kam immer wieder diese eine Frage: Wann ist es endlich wieder soweit?“. Sie selbst ist Lehrerin und sieht oft: Kinder aus geflüchteten Familien kommen in der Schule zu kurz. Dort seien sie teilweise total eingeschüchtert – ganz anders als in diesem Rahmen: „Hier zu erleben, wie die Kinder aus sich rauskommen, wie frei sie sind und wie viel Freude sie haben, das ist großartig.“ Die Kinder blühen auf, fassen Lebensmut, denken während des Urlaubs nicht nach über ihre Ängste und Sorgen. „In den Gemeinschaftsunterkünften, wo einige von ihnen im ganz beengtem Umfeld immer noch leben, geht das nicht“, sagt Wöste. Zudem hätten sie während dieser Zeit die Möglichkeit, richtig Deutsch zu sprechen und nicht nur ihre Muttersprache.
Vor allem – aber nicht nur – für die Geflüchteten sind die „Internationalen Kulturferien“ eine Auszeit. Andere Menschen kennenlernen, sich austauschen, dabei aber trotzdem mehr über Deutschland und fürs Leben lernen. Eine schöne Zeit verbringen und auf andere Gedanken kommen. Ein Urlaub vom Alltag – über viele Kulturen hinweg.